Trendbeleuchtung: Kannibalisierung im Umweltverbund

Der motorisierte Individualverkehr ist in Bezug auf seinen Platzverbrauch sowohl in fahrendem als auch in parkendem Zustand im Durchschnitt höchst ineffizient. Dennoch wird ihm im Regelfall sehr viel Platz eingeräumt, der Verkehrsträgern des Umweltverbunds (das sind vor allem Fuß, Rad und ÖV) dann fehlt - besonders auffällig ist das bei Parkplätzen auf Gehsteigen oder bei Einrichtung von mehreren Fahrspuren statt Öffi-Bevorrangung oder von Parkspuren trotz schmaler Fußverkehrs- oder Radfahrbereiche. Trotzdem erfolgen Verbesserungsmaßnahmen für umweltfreundliche Verkehrsträger immer wieder nicht in Form einer Beseitigung dieser Schieflage, sondern stellen sich als Kannibalisierung im Umweltverbund heraus.
 
Bei Kannibalisierungseffekten innerhalb des Umweltverbunds erfolgt die Attraktivierung eines einzelnen umweltfreundlichen Verkehrsträgers auf Kosten eines anderen umweltfreundlichen Verkehrsträgers, während der platz- und energieintensive Autoverkehr speziell schonend oder gar nicht angetastet wird.
 
Dass man, wo es wirklich relativ eng wird, manchmal ein bisschen zusammenrücken muss, ist in gewachsenen dichten Stadtstrukturen verständlich. Anders ist es jedoch, wenn Platz zur Verfügung stünde, aber für den Autoverkehr verloren geht. Im Folgenden einige Beispiele, vor allem aus der jüngeren Vergangenheit in Wien und gruppiert nach teilnehmenden Verkehrsträgern, wo Potenzial für gute Umweltverbund-Lösungen liegengelassen wurde und wie es besser wäre. Denn oft entscheiden kleinräumige punktuelle Maßnahmen über die tägliche Lebensqualität. Der Artikel wird gelegentlich aktualisiert und ergänzt.


Kapitel:


Bessere Radinfrastruktur auf Kosten von Fußverkehrsinfrastruktur

Grafik aus Piktogrammen: Fußgänger und Fahrrad mittig in Konfliktsituation, rundherum unzählige AutosAttraktive Radinfrastruktur erfolgt über sogenannte Angebotsplanung. Ohne durchgängige, sicher befahrbare Radwegenetze, die alle relevanten Ziele erschließen, bleibt der Radverkehr ein Nischenprodukt und kann das Potenzial dieses umweltfreundlichen und gesundheitsfördernden Verkehrsträgers nicht ausgeschöpft werden. Gleichzeitig braucht auch der Fußverkehr ausreichend Platz und kurze Direktverbindungen. Radinfrastruktur auf Kosten des Fußverkehrs zu errichten, kann in der Folge durch geringe Breite, Geschwindigkeitsdifferenzen und hohes Verkehrsaufkommen dem Sicherheitsgefühl abträglich sein und ein negatives Meinungsklima gegenüber dem Radverkehr befördern. Dies ist überall dort vermeidbar, wo dem Autoverkehr als eigentlichem „Platzfresser“ immer noch mehr Platz als notwendig eingeräumt wird.



→‎ Situation: Die schattige flussseitige Gehmöglichkeit (gemeinsamer Geh- und Radweg) in der Linken Wienzeile wurde zwischen Pillergasse und Schönbrunner Brücke für den Fußverkehr aufgelassen und zu einem reinen Radweg umgewidmet.

→ Kannibalisierung: Somit gibt es auf dieser Straßenseite bessere Radinfrastruktur, aber keine Gehmöglichkeit mehr, wodurch intuitive Gehmöglichkeiten verschwunden sind und zusätzliche Ampelwartezeiten an einer stark befahrenen Straße entstehen. Der Radweg wurde darüber hinaus auch erweitert (durch neue Spur auf der anderen Seite der Baumreihe) - um dennoch alle drei KFZ-Fahrspuren zu erhalten, rückten diese weiter, wodurch auf der anderen Straßenseite je nach Abschnitt eine Grünfläche verkleinert und ein weiterer Gehsteig entfernt wurde. Hingegen fand man dennoch Platz für eine neue Abbiegespur in eine Garage sowie neue Parkplätze (siehe auch [1], während Umbauphase).

→ Wie es besser wäre: Statt wie jetzt einen großen Teil der Straße für drei KFZ-Spuren zu verbrauchen, könnte eine davon für eine Radwegverbreiterung genützt und der Weg entlang des Geländers wieder als Fußweg genützt werden.

Dreispurige Straße, Gehsteig nur links, rechts zwei Radwege, durch Baumreihe getrennt, einer davon inoffiziell durch Gehende benützt
Bild:
Die beiden Wege links und rechts der Baumreihe auf diesem Abschnitt der Linken Wienzeile sind offiziell nur mehr Radwege, dennoch kommt es fallweise mangels Alternative auf dieser Straßenseite sichtlich zu einer inoffiziellen Mitnutzung durch den Fußverkehr (2023)



→‎ Situation: Die Lobgrundstraße verbindet auf rund eineinhalb Kilometern Länge die entlang der Donau verlaufende Raffineriestraße mit dem unteren Teil von Lobau und Nationalpark Donauauen. Da es sich um eine wichtige Radverbindung entlang der Donau zur Umfahrung des Ölhafens handelt, wurde eine vormals unbefestigte, breite, für den Freizeitverkehr gut begehbare, aber nur bedingt gut beradelbare Nebenfläche asphaltiert und zu einem reinen Radweg deklariert.

→ Kannibalisierung: Währende Radfahrende nun besser vorankommen, müssen Gehende seither mangels Gehsteig theoretisch versuchen, am Rand der KFZ-Fahrbahn voranzukommen, die jedoch von zahlreichen LKW benützt wird, durch eine Kurve teilweise nicht gut einsehbar ist und somit gefährlich zu begehen ist. Wer deshalb zu Fuß auf den Radweg ausweicht, riskiert bei einem Unfall belangt zu werden, da Gehen auf Radwegen laut StVO zwar nicht explizit verboten, aber auch nicht explizit erlaubt ist. Die Strecke ist vor allem als Zugang zu Teilen des Nationalparks Donauauen relevant, die nächste Alternative zur Umgehung des Abschnitts wäre um 2,5 Kilometer (!) länger.

→ Wie es besser wäre: Mögliche Lösungen wären die Umwandlung des Radweges in einen gemeinsamen Fuß- und Radweg, unter Umständen ohne Benützungspflicht und kombiniert mit verstärkter Kontrolle des Tempolimits auf der Straße, sowie Maßnahmen zur Verlagerung des LKW-Verkehrs auf die bestehende parallele Anschlussbahn. Auch die Einrichtung eines Linienbusverkehrs (etwa weitgehend kostenneutral jede zweite Fahrt der Linie 92B statt zum Ölhafen hier zu führen) würde eine Alternative zum Begehen der Straße schaffen und die öffentliche Anbindung an die Industriebetriebe und den Nationalpark verbessern, da vom Ölhafen aus im Gegensatz zu früher kein Nationalparkzugang mehr möglich ist.

Asphaltierter Radweg mit entsprechender Beschilderung, daneben eine Straße ohne Gehsteig, jeweils in einer engen Kurve, auf der Straße fährt gerade ein LKW Asphaltierter Radweg, daneben eine Straße ohne Gehsteige, auf der Straße fährt gerade ein LKW Asphaltierter Radweg, daneben eine Straße ohne Gehsteig mit dichtem LKW-Verkehr
Bilder:
Radweg neben stark befahrener Lobgrundstraße ohne Gehsteig (2023)



✔️ Aus Artikel entfernt, da die behandelte Querung inzwischen entschärft wurde.



→‎ Situation: In der Possingergasse wurde südwärts ein Radstreifen auf der Straße installiert.

→ Kannibalisierung: Um die Parkspur trotz Errichtung des Radstreifens zu erhalten, wurde im Zuge dessen auf der westlichen Straßenseite der Gehsteig verschmälert.

→ Wie es besser wäre: Durch Entfall der Parkspur im ohnehin von mehreren Gemeindebau-Großparkplätzen geprägten Umfeld könnte in wesentlichen Teilen der Gehsteiglänge eine Verschlechterung für den Fußverkehr gegenüber früher vermieden und gleichzeitig eine aufgrund des lauten Straßenverkehrs durchaus nötige Attraktivierung des Gehsteigs durch Begrünungsmaßnahmen eingeleitet werden.



→‎ Situation: In der Heiligenstädter Straße auf Höhe des südlichen Teils des Karl-Marx-Hofs wurde auf der westlichen Straßenseite ein Zweirichtungsradweg errichtet. Der bisherige schmale Einrichtungsradweg wurde zugunsten einer Verbreiterung der Grünfläche aufgegeben.

→ Kannibalisierung: Um trotz Errichtung des neuen Radwegs zwei bis drei (!) Parkspuren zu erhalten, wurde die tiefergelegte Gehsteighälfte, die baulich Nebenfahrbahncharakter hatte, aber dank Abtrennung durch Poller nur dem Fußverkehr zur Verfügung stand, zu einem Radweg umgebaut. Somit kam es in etwa zu einer Halbierung der auf dieser Seite für Gehende zur Verfügung stehenden Fläche und auch die bisher entlang des Grünstreifens aufgestellten Sitzbänke entfielen dadurch.

→ Wie es besser wäre: Durch Umbau der Parkspur auf dieser Straßenseite im ohnehin von anderen Parkspuren und einer Tiefgarage sowie einem hochrangigen Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs geprägten Umfeld könnte eine Verschlechterung für den Fußverkehr samt Entfall der u.a. für Einkäufe auf dieser Straßenseite wichtigen Sitzbänke und des Aufenthaltsqualitätspotenzials unter den schattenspendenden alten Bäumen vermieden werden. Sodann wäre am Gehsteig (gegenüber früher in adaptierter Form, durch Angleichung des Niveaus barrierefrei gemacht) eine Re-Attraktivierung samt ausreichend Platz für Schanigärten und konsumfreie Sitzbänke möglich.

Gehsteig, linke Hälfte gepflastert und etwas tiefer gelegen, rechte Hälfte asphaltiert, auf der linken Hälfte stehen zwei Personen und unterhalten sich, auf der rechten Hälfte gehen Personen mit Einkaufssäcken, vor einem Geschäft stehen Körbe mit Waren Gehsteig, linke Hälfte gepflastert und etwas tiefer gelegen, rechte Hälfte asphaltiert, vor einem Geschäft sitzen zwei Personen, eine links auf einer Sitzbank, einer rechts auf einer geschäftseigenen Sitzgelegenheit Baustelle, die Hälfte der Fußverkehrsfläche wird zu einem Radweg umgebaut, in der Grünfläche daneben stehen noch zwei Sitzbänke, die bisher direkt neben der Fußverkehrsfläche lagen und durch den im Bau befindlichen Radweg von dieser abgetrennt werden
Bilder:
Gehsteigflächen an der Heiligenstädter Straße im früheren Zustand (Baustelle jedoch bereits, in unterschiedlichen Stadien, sichtbar) inkl. Flächen für kurzen Aufenthalt, eine Plauderei, Geschäftsbummelei oder Sitzbänke (2024)

Asphaltierter Radweg und asphaltierter Gehsteig ohne Sitzbänke, vor einem Geschäft stehen Körbe mit Waren Asphaltierter Radweg und asphaltierter Gehsteig eingeengt durch Schanigarten, links daneben eine Grünfläche und wiederum daneben eine KFZ-Fahrspur Asphaltierter Radweg und asphaltierter Gehsteig ohne Sitzbänke, links daneben eine Grünfläche und wiederum daneben eine KFZ-Fahrspur, am Gehsteig stehen Fahrräder und ein Schild vor einem Geschäft
Bilder:
Heiligenstädter Straße nach dem Umbau, die Gehsteigfläche ist durch den Radweg halbiert worden und dient vorwiegend nur mehr als Verkehrsraum - wo nicht, wird der Platz eng, Gehende weichen manchmal auf den Radweg aus. Die KFZ-Parkspuren daneben blieben unberührt, Radabstellflächen fehlen. (2025)



Bessere ÖV-Infrastruktur auf Kosten von Radinfrastruktur

Grafik aus Piktogrammen: Fahrrad und Straßenbahn mittig in Konfliktsituation, rundherum unzählige AutosÖffentlicher Verkehr kann platzeffizient große Mengen an Menschen befördern, sodass gerade auf wichtigen Achsen ein rasches Vorankommen inklusive Bevorrangung erstrebenswert ist. Manchmal werden jedoch für die Schaffung von ÖV-Bevorrangung Einschränkungen für den Radverkehr aufrechterhalten bzw. gar neu geschaffen, anstatt eine Lösung zu wählen, die den hohen Platzbedarf des Autos antastet. Dabei wäre es nur folgerichtig, wenn für die Bevorrangung eines Verkehrsträgers mit oft 100 bis 200 Personen pro Fahrzeug allfälliger zusätzlicher Platzbedarf dort geholt wird, wo viel Platz verloren geht - bei am Straßenrand stehenden, oft 23 Stunden unbewegten, abgestellten Fahrzeugen, die selbst in bewegtem Zustand nur jeweils von durchschnittlich 1,4 Personen benützt werden.



→‎ Situation: Auf einer Linksabbiegespur in der Ottakringer Straße Richtung Bergsteiggasse, die als eine von mehreren Zufahrten ein Wohngebiet erschließt, blockierten wartende Autos regelmäßig die Straßenbahn, da sich die Spur am Gleiskörper befindet.

→ Kannibalisierung: Anfang 2023 wurde als Lösung das Radfahren gegen die Einbahn in der von Süden kommenden Weyprechtgasse verboten, da dadurch die Ampelschaltung verändert werden konnte. Damit die Straßenbahn nicht mehr hinter Autos warten muss, wurde somit das Radwegenetz zerstückelt. [2]

→ Wie es besser wäre: Stattdessen hätte sich angeboten, die Linksabbiegemöglichkeit für KFZ an dieser Stelle zu unterbinden, da es andere Zufahrtsmöglichkeiten gibt und die Strecke zudem aktuell auch zulasten der Anrainerschaft als Schleichweg, um dem Gürtel auszuweichen, genutzt wird. Der Erhalt aller erdenklichen Relationen für PKW hält das Autofahren attraktiv, während ein möglichst lückenloses Radverkehrsnetz zur Reduktion des Autoverkehrs beitragen würde.



→‎ Situation: In der Ottakringer Straße vor dem Ottakringer Platz bzw. Johann-Nepomuk-Berger-Platz gab es regelmäßig einen Rückstau von KFZ, der bis zum gemeinsam mit der Straßenbahn befahrenen Fahrbahnabschnitt zurückreichte, sodass die Straßenbahn an einem staufreien Einfahren in die Haltestelle gehindert wurde.

→ Kannibalisierung: Als Reaktion darauf wurde stadteinwärts ein Radfahrstreifen aufgelassen, um Autos vom Gleiskörper fernzuhalten. Der gewünschte Effekt trat jedoch nicht ein. [3]

→ Wie es besser wäre: Die Umwandlung des danebenliegenden Parkstreifens in eine Fahrspur samt KFZ-Fahrverbot am Gleiskörper könnte auf einen Schlag die Behinderung der Straßenbahn durch Autos beenden.



→‎ Situation: Österreichweit werden seit Jahren Eisenbahnkreuzungen, insbesondere jene ohne technische Sicherung (Blinklicht, Löffelrad und/oder Schranken) geschlossen. Ziel ist die Vermeidung von Unfällen.

→ Kannibalisierung: Teilweise entfallen die Eisenbahnkreuzungen ersatzlos, manchmal werden ersatzweise Über- oder Unterführungen angelegt, dann jedoch meistens eine niveaufreie Querung als Ersatz für gleich mehrere Eisenbahnkreuzungen. Während für den Autoverkehr mehrere hundert Meter lange Umwege nicht so stark ins Gewicht fallen, handelt es sich für den Rad- und Fußverkehr bei solchen Streckenverlängerungen um kritische Werte, die eine Nutzung dieser Verkehrsmittel mitunter sogar verunmöglichen. Der Fußweg zwischen der Bahnstation Pürgg und der Ortschaft Untergrimming etwa hat sich durch Schließung einer Eisenbahnkreuzung um rund 900 Meter verlängert. Zudem sorgen die Steigungen beim Über- oder Unterqueren vielerorts für zusätzliche Anstrengungen im Vergleich zu einer ebenerdigen Querung, denen nicht alle Menschen gewachsen sind. Solche Qualitätsverluste können zum Umstieg aufs Auto führen oder, wenn ein solches nicht zur Verfügung steht, zum Verlust von Mobilität bis hin zu Abwanderung. Auch ein illegales Queren von Gleisen abseits von Eisenbahnkreuzungen mangels legaler Möglichkeiten in der Nähe kann dadurch verstärkt auftreten, was die Unfallgefahr massiv erhöht, da keinerlei Warnsignale vor Ort oder durch einen herannahenden Zug zu vernehmen sind. Um dies zu vermeiden, werden zunehmend Zäune aufgestellt, die wiederum Kosten in Anschaffung und Wartung verursachen, die Zugänglichkeit im Störungsfall erschweren, ins Landschaftsbild eingreifen und Wildtierlebensräume einschränken.

→ Wie es besser wäre: Unfälle an Eisenbahnkreuzungen gehen nahezu ausschließlich auf die Unachtsamkeit von Straßenverkehrsbenützenden und hierbei wiederum großteils in Form des Autoverkehrs [7] zurück. Für den Fuß- und Radverkehr sollten ersatzlose Auflassungen oder Zusammenlegungen von Eisenbahnkreuzungen daher kein Thema sein. Für Stellen mit schlechter Sicht oder hoher Geschwindigkeit sollte eine technische Sicherungen auch für kleine Eisenbahnkreuzungen budgetiert werden. Dadurch bliebe das Fuß- und Radwegenetz erhalten und Züge könnten ohne Geschwindigkeitsreduktion unterwegs sein, ohne dass durch laute Pfeif- / Hornsignale vor Kreuzungen sowie durch über längere Strecken unpassierbare Bahntrassen das Image des Verkehrsmittels Eisenbahn leiden müsste. Zudem sollte weiter an Innovationen zur Kostensenkung von Sicherungsanlagen geforscht werden. An der Mariazellerbahn wurde 2017 vermeldet, mit einem neuen System die Kosten gegenüber vergleichbaren regionalen Eisenbahnübergängen der ÖBB halbiert zu haben. [8]



Bessere Radinfrastruktur auf Kosten von ÖV-Infrastruktur

Grafik aus Piktogrammen: Straßenbahn und Fahrrad mittig in Konfliktsituation, rundherum unzählige AutosDie durchschnittliche Geschwindigkeit von Radverkehr und öffentlichem Verkehr ist abschnittsweise ähnlich, kommt jedoch unterschiedlich zustande. Straßenbahnen und Busse sind meist schneller unterwegs, stehen dafür dazwischen in Haltestellen. Liegen ÖV- und Radspuren nebeneinander, können daher auf manchen Abschnitten gemeinsame Grünphasen geschaffen werden, die beide bevorrangen. ÖV und Radverkehr aus vermeintlichen Platzgründen auf derselben Spur fahren zu lassen, ohne Flexibilität mittels Ausweichstellen oder Begegnungszonen zu ermöglichen, während daneben PKW-Parkplätze erhalten bleiben, behindert jedoch den Umweltverbund zugunsten des Autoverkehrs, da die ÖV-Fahrzeuge langsamer vorankommen sowie für manche Radfahrende ein erhöhter Stress durch dahinterfolgende Fahrzeuge und ein geringes Sicherheitsgefühl mangels eigener Infrastruktur besteht. Weiters: Wenn neue Radwege so angelegt werden, dass Buslinien eine Straße nur mehr in einer Richtung befahren können oder Haltestellen an Umsteigeknoten aus zu großer Rücksicht gegenüber dem Erhalt möglichst vieler Autofahrspuren voneinander wegverlegt werden, verschlechtert sich die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs. Es verlängern sich die Umsteigewege, somit die Reisezeit und es ergeben sich Nachteile für gehschwache Menschen und generell für alle Fahrgäste auch durch zumeist dann schlechteren Witterungsschutz. Der psychologische Widerstand, öffentlichen Verkehr zu nutzen steigt dadurch.



→‎ Situation: Die Reinprechtsdorfer Straße wurde umgestaltet, Ziel war ein „Klimaboulevard“. Der KFZ-Verkehr blieb erhalten, wird aber nur mehr als Einbahn geführt. Im Zuge dessen wurden Gehsteige teilweise verbreitert und das Radfahren gegen die Einbahn ermöglicht. [4]

→ Kannibalisierung: Von der Einbahnführung ist allerdings auch die Buslinie 14A betroffen, die dadurch (nun dauerhaft statt wie ursprünglich geplant temporär) nicht mehr den gleichen Straßenzug in beiden Richtungen befahren darf, sondern je nach Richtung auf mehrere Häuserblöcke voneinander entfernten Routen. Dadurch entsteht für alle Fahrgäste, welche die Linie in diesem Bereich zum Aus- oder Einsteigen nutzen, weil sie hier wohnen, einkaufen oder aus anderen Gründen unterwegs sind, und danach wieder zurück fahren möchten (oder umgekehrt), auf jeden Fall ein Fußweg oder, wenn sie diesen nicht bewältigen können, ein langer Umweg inklusive Umstieg in einen Bus der Gegenrichtung. Früher konnten hingegen viele Ziele im direkten Haltestellenumfeld in beiden Richtungen direkt bedient werden.

→ Wie es besser wäre: Anstatt im knappen Straßenraum weiterhin Parkplätze zur Verfügung zu stellen, hätte eine konsequentere Verkehrsberuhigung, die auf PKW-Durchzugsverkehr verzichtet, geschaffen werden können, da durch die neue U-Bahn-Anbindung der Bedarf an Autoverkehr zusätzlich sinkt und es lokal ohnehin ein Interesse an der Vermeidung von Durchzugsverkehr gibt. Somit hätte ein wirklicher Klimaboulevard, ähnlich der Neubaugasse, in Form einer für Bus- und Radverkehr nutzbaren Begegnungszone ohne Einbahneinschränkung dem gesamten klimafreundlichen Umweltverbund geholfen. Die Reinprechtsdorfer Straße als Einkaufsstraße mit einem über die Jahre gesehen eher fragilen Geschäftsbestand hätte von einer erhöhten Aufenthalts- und Flanierqualität, besseren Querungsmöglichkeiten zu Fuß zwischen den Geschäften sowie einem in beiden Richtungen erhaltenen öffentlichen Oberflächenverkehr profitiert.



→‎ Situation: Im Zuge des Radwegebaus in der Wagramer Straße wurde in beiden Richtungen die Öffi-Spur (ursprünglich Straßenbahn und Bus, seit 2013 nur mehr Bus) aufgelassen und die Linie 22A hält die Station Steigenteschgasse nicht mehr ein.

→ Kannibalisierung: Um die Anzahl an MIV-Fahrspuren hoch zu halten, wurde beim Radwegebau die Öffi-Spur aufgegeben. Der Busverkehr der Linie 22A im Abschnitt zwischen Kagraner Platz und Kagran, der während der Bauphase rund ein Jahr lang gänzlich entfällt, und jener der Linie 94A muss nun mit dem MIV mitschwimmen. Die Haltestellen in der Wagramer Straße bei der Steigenteschgasse wurden in einer Form errichtet, bei der aufgrund des MIV-Verkehrsaufkommens nur ein Nachtbus-Halt zugelassen wird, ein Halt der Linie 22A tagsüber wird von Behörden und/oder Politik aktuell mehrheitlich abgelehnt [9]. Somit leidet die Feinverteilung der Wagramer Straße für Wohnbevölkerung, medizinische Institute und Einzelhandel mit öffentlichem Verkehr, da die Verbindung zwischen Steigenteschgasse und dem wichtigen Verkehrsknotenpunkt Kagraner Platz sowie dem Rest der 22A-Strecke durch Hirschstetten bis Aspern nur mehr mit zeitaufwendiger Umwegfahrt öffentlich möglich ist (erst mit der Linie 94A nach Kagran, dann mit U1 oder 22A zurück zum Kagraner Platz), während der Bus nach Fertigstellung an der Haltestelle vorbeifährt, ohne zu halten.

→ Wie es besser wäre: Grundsätzlich ist eine Fahrbahnhaltestelle ohne Bucht in zweispurigen Straßen nichts Ungewöhnliches, der Bus könnte daher auch tagsüber halten. Weitere Alternativen bestünden in Form von Tempo 30 im Haltestellenbereich, Umwandlung einer Fahrspur in eine Busspur oder eine Reduktion der Fahrspuranzahl im Haltestellenbereich. Im nicht-lokalen Verkehr steht auf dieser Achse mit der U1 eine hochrangige und schnelle Alternative zum MIV samt Anbindungen ins Umland mit Bahn, Regionalbus und P+R zur Verfügung und zudem ist die Linie 22A autoverkehrsbedingt häufig verspätungsanfällig. Gleichzeitig hat die Verbindung nach Kagran aber durch ihre Netzwirkung und die Anbindung ans Donauzentrum sowie (eigentlich) auch an die Wagramer Straße im Bereich Steigenteschgasse relevante lokale Bedeutung. Daher wären zumindest partiell eigene Busspuren weiterhin zielführend, von solchen würde auch wieder die Linie 94A mitprofitieren. Die platzeffiziente Art der Personenbeförderung, die diese beiden Linien ermöglichen, würde dadurch gestärkt statt wie derzeit geschwächt.

Straße, zu sehen eine zweispurige Fahrbahn in eine Richtung, links daneben ein Gleiskörper mit Bus und Haltestellen Breite Straße mit mehreren Fahrspuren, daneben eine Baustelle auf der Fläche von aktuell ungenutzten Fahrspuren und einer Haltestelle darin Radweg, daneben eine Haltestelle noch in Bau, daneben zwei KFZ-Fahrspuren in gleicher Richtung, eine davon auch als Abbiegespur
Bilder:
1. Bild (externe Quelle, Urheber istefanos ↗ CC BY-SA 4.0 ↗): Station Steigenteschgasse vor dem Radwegbau, mit Öffi-Spur und Haltestellen für alle Linien (2018)
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2. Bild: Baustelle am Haltestellenstandort stadtauswärts (2025)
3. Bild: Haltestelle stadteinwärts seit Umbau, nur der Nachtbus darf halten (2025)

Radweg, daneben eine Haltestelle, daneben drei KFZ-Fahrspuren in gleicher Fahrtrichtung, teilweise als Abbiegespur
Bild:
Eine Haltestelle weiter, beim Donauzentrum, gelang die Kombination aus Haltestellenerhalt und Radwegbau (2025)



→‎ Situation: Im Zuge des Radwegebaus am Rennbahnweg wurden die Bushaltestellen adaptiert. Eine erhielt einen Zaun, eine weitere wurde aufgeteilt und verlegt.

→ Kannibalisierung: Die Haltestelle der Linie 27A Richtung Osten wurde mit einem Abtrenn-Geländer versehen, um eine Querung des Radwegs an schwierig einsehbaren Stellen zu vermeiden, was jedoch die Zugänglichkeit der Haltestelle verringert. Um die Zahl der KFZ-Abbiegespuren Richtung Westen hoch zu halten, wurde die Haltestelle der Linie 27A Richtung Westen nach hinten verlegt und jene der Linie 25A sogar noch weiter zurück, in die Austerlitzgasse vor die Kreuzung. Diese liegt nun somit etwa in der Mitte der U-Bahn-Station, während sich deren Eingänge aber an den Enden befinden. Die Umsteigewege sind nun deutlich länger und nicht mehr witterungsgeschützt.

→ Wie es besser wäre: Westwärts könnte die rechte Abbiegespur zu einer Busspur mit Bushaltestelle samt befahrbarem Kap für den Radverkehr werden, um die 25A-Haltestelle wieder zur U1 und in den witterungsgeschützten Bereich rückzuverlegen. Auch progressivere Ansätze wären möglich. Da es sich um einen wichtigen lokalen Umsteigepunkt zwischen U-Bahn und Bus handelt, sollten kurze Umsteigewege im Mittelpunkt der Planung stehen. Die Anbindung des Rennbahnwegs an einen Radweg ist ebenfalls sinnvoll, sollte aber nicht nachträglich hineingezwängt sondern ganzheitlich mit dem öffentlichen Verkehr geplant werden. Die derzeit 4 KFZ-Spuren aufweisende Rennbahnweg-Durchfahrt unter der U-Bahn könnte als Schleuse dem Umweltverbund (und natürlich Einsatzfahrzeugen) mit ausreichend Platz und kurzen Umsteigewegen zur Verführung gestellt werden, während die MIV-Anbindung auch alleine durch die halbseitig nur von Industriestruktur begleitete Lieblgasse bzw. im Süden durch die Breitenleer Straße erfolgen könnte.

Straße unterquert eine in Hochlage liegende U-Bahn-Station, in Blickrichtung zwei KFZ-Fahrspuren, daneben eine Haltestellenspur für Busse mit Fahrrad-Mehrzweckstreifen, in der Gegenrichtung eine Fahrspur, daneben eine Haltestellenspur für Busse mit Fahrrad-Mehrzweckstreifen Bushaltestelle, mittig der Wartebereich, links die Fahrspur, rechts ein Abtrenn-Geländer, der den Wartebereich vom restlichen Gehsteig, über den dort ein Radweg verläuft trennt Bushaltestelle unter U-Bahn-Hochtrasse, Haltestellen der Gegenrichtung auf der anderen Straßenseite liegen in deutlichem Abstand im Hintergrund
Bilder:
1. Bild (externe Quelle, Urheber istefanos ↗ CC BY-SA 4.0 ↗): Station Rennbahnweg vor dem Radwegausbau, mit Bushaltestellen für alle Linien direkt unter der U-Bahn (2020)
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2. Bild: Haltestelle ostwärts nach Radwegausbau mit Zaun zwischen Haltestelle und Radweg (2024)
3. Bild: Blick auf die Haltestellen auf der anderen Straßenseite, die von der U-Bahn wegverlegt wurden: für die Linie 27A in Fahrtrichtung Westen direkt nach der Kreuzung und für die Linie 25A gar in der Seitengasse, wo im Bild der stehende Bus zu sehen ist (2024)



→‎ Situation: Im Zuge des Radwegebaus in der Erzherzog-Karl-Straße wurde die Kreuzung mit der Industriestraße umgebaut und die Bushaltestelle Arminenstraße der Linie 93A Richtung Süden relativ weit von der Kreuzung verlegt.

→ Kannibalisierung: Um die Anzahl an MIV-Fahrspuren hoch zu halten, wurde beim Radwegebau die bestehende Bushaltestelle aufgelassen und an neuer Stelle errichtet. Fahrgäste, die mit der Linie 25 vom Osten kommen und in die Linie 93A Richtung Industriestraße (viele Siedlungen und Betriebe) umsteigen, müssen nun gegenüber früher einen rund drei Mal so langen Umsteigeweg zurücklegen.

→ Wie es besser wäre: Weiterhin steht sehr viel Platz für KFZ-Fahrspuren zur Verfügung. Im inselartigen Mittelbereich zwischen Arminenstraße und Industriestraße hätte eine Bushaltestelle in naher Distanz zur Straßenbahnhaltestelle errichtet werden können, denkbar wären etwa Adaptionen der Abbiegespuren und ein Tausch von Gehsteig mit Radweg oder eine Reduktion der Abbiegespuranzahl.

Starße mit mehreren Fahrspuren in Blickrichtung, rechts am Fahrbahnrand eine Bushaltestelle, links ein eigener Gleiskörper mit Haltestelle ein Fahrtrichtung der Blickrichtung, weiter links Fahrbahn der Gegenrichtung mit Bushaltestelle Zwei KFZ-Fahrspuren, daneben Radweg und Gehsteig, auf anderer Seite Straßenbahn-Gleiskörper mit Haltestellen
Bilder:
1. Bild (externe Quelle, Urheber stefan147 ↗ CC BY-SA 4.0 ↗): Station Arminenstraße vor dem Radwegbau, mit mehreren nahe beieinanderliegenden Haltestellen (2016)
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2. Bild: Situation nach Fertigstellung des Radwegs mit Lage der Haltestellen, nun beide gegenüber, aber hier nicht mehr vorhandener Bushaltestelle Richtung Industriestraße (2025)

Straßenraum einer Kreuzung, in Blickrichtung ein eigener Straßenbahngleiskörper, daneben drei KFZ-Fahrspuren in eine Fahrtrichtung aber verschiedene Relationen, wiederum daneben ein Radweg und ein Gehsteig. Bei der Folgekreuzung zweigt eine Straße nach rechts ab, entlang der schließlich, inzwischen weit im Hintergrund, sich eine Bushaltestelle befindet. Diese wurde zur besseren Sichtbarkeit im Foto nachträglich rot eingekreist Bushaltestelle. Straßenbahnhaltestelle recht weit entfernt im Hintergrund Gehsteig, daneben Radweg, daneben drei Fahrspuren
Bilder:
3. Bild: Blick von den Straßenhaltestellen auf die neue Lage der Bushaltestelle Richtung Industriestraße im Bildhintergrund, zur besseren Erkennbarkeit rot eingekreist (2025)
4. Bild: Umgekehrter Blick zum 3. Bild, von der Bushaltestelle zurück zu den Straßenbahnhaltestellen (2025)
5. Bild: Fertige Gestaltung in näherer Umgebung der Straßenbahnhaltestellen mit vielen KFZ-Fahrspuren (2025)



→‎ Situation: Das gute Image des öffentlichen Verkehrs in Zürich gelang durch vor Jahrzehnten eingerichtete eigene Tram- und Busspuren, die ein rasches und verlässliches Vorankommen ermöglichen.

→ Kannibalisierung: Die aktuell forcierte Einrichtung von Radspuren auf Hauptverkehrsstraßen führt zum Entfall von eigenen ÖV-Trassen und entsprechender Zeitverzögerung durch Autostau. Vorteile für den Radverkehr gehen hier zulasten des öffentlichen Verkehrs. [5]

→ Wie es besser wäre: Stattdessen könnten rigorosere Einschränkungen des KFZ-Verkehrs mithilfe abschnittsweiser (Durch-)Fahrverbote die ohne Zweifel bedeutsame Einrichtung neuer Radwege ermöglichen, ohne die Verlässlichkeit des ÖVs aufs Spiel zu setzen.



Bessere Leihrollerinfrastruktur auf Kosten von Fußverkehrsinfrastruktur

Grafik aus Piktogrammen: Fußgänger und Roller mittig in Konfliktsituation, rundherum unzählige AutosNeue Vorschriften zum Abstellen von Leih-E-Rollern sollen das widerrechtliche Abstellen solcher Fahrzeuge mitten auf Gehsteigen eindämmen. Leider werden die neuen Roller-Abstellflächen immer wieder erst recht auf Gehsteigen markiert, während laut neuer Regelung im 100-Meter-Umkreis die Straßen-Parkspuren im Gegensatz zu bisher nicht mehr fürs Abstellen der Roller benutzt werden dürfen. Somit gibt es durch dieses neue Regularium leider als Nebeneffekt an zahlreichen Stellen weniger Platz für den Fußverkehr und mehr Platz für parkende Autos, was den Mobilitätszielen der Stadt widerspricht. Abgesehen davon wäre wünschenswert, die Forderungen nach freien Gehsteigen nicht bei Leihrollern enden zu lassen, sondern bei den Gehsteig-Verparkungen durch PKW (auftretend sowohl in derzeit legaler als auch in unerlaubter Form) flächendeckend fortzusetzen.



Bessere Fußverkehrsinfrastruktur auf Kosten von ÖV-Infrastruktur

Grafik aus Piktogrammen: Fußgänger und Straßenbahn mittig in Konfliktsituation, rundherum unzählige AutosGehende sind vulnerabel und daher besonders zu schützen. Gleichzeitig ist ein besonderer Stellenwert auch der Platzeffizienz des öffentlichen Verkehrs einzuräumen, die nur voll ausgespielt werden kann, wenn u.a. der Fahrplan verlässlich, die Nutzung niederschwellig und die Netznutzbarkeit mit attraktiven Umsteigeverhältnissen möglich ist. Sind Gehsteige zu schmal, kann es in Haltestellenbereichen zu Platzkonflikten zwischen wartenden Fahrgästen und passierenden Menschen kommen. Eine Erweiterung des Platzes zumindest an diesen Stellen kann daher sinnvoll sein. Wenn dies aus zu großer Rücksicht gegenüber dem Erhalt möglichst aller denkbaren Autoverkehrsrelationen geschieht, muss eine vor einer Kreuzung situierte Haltestelle zurückverlegt werden, um Platz für Abbiegespuren freizulassen. Hiermit verlängern sich an Kreuzungen mit mehreren Linien die Umsteigewege deutlich, was einerseits für gehschwache Menschen die Nutzung des öffentlichen Verkehrs erschwert und andererseits für alle Fahrgäste mitunter die Reisezeit deutlich verlängert, wenn aufgrund der neuen Situation beim Umsteigen ein Fahrzeug nicht mehr erreicht werden kann und auf den Folgezug oder Folgebus gewartet werden muss.



→‎ Situation: Mit dem Umbau der Thaliastraße wurde an mehreren Stellen wie folgt vorgegangen: Die direkt vor der Kreuzung gelegene Haltestelle, die mit einem für KFZ befahrbaren Kap ausgestattet war, wurde nach hinten, weg von der Kreuzung verlegt. Am neuen Standort wird die bisherige Parkspur für einen breiteren Gehsteig im Haltestellenbereich genützt, was mehr Platz für wartende Fahrgäste schafft und somit Platzkonflikte mit dem vorbeigehenden Fußverkehr an dieser Stelle entschärft.

→ Kannibalisierung: An Umsteigepunkten mit querenden Linien bringt dies jedoch auch Nachteile: Der Fußweg zum Umsteigen zwischen den Haltestellen der Linie 46 und jenen von 9 (Feßtgasse) bzw. 10A (Schuhmeierplatz) verlängert sich dadurch gegenüber der bisherigen Lösung deutlich. Mitunter führt es dazu, dass nicht mehr der nächste Zug/Bus erwischt werden kann, obwohl dieser manchmal sogar vor der Ampel erneut warten muss, was Reisezeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln empfindlich verlängern kann. Längere Umsteigewege könne für gehschwache Personen problematisch sein und vermindern insbesondere bei Niederschlag oder Hitze für alle Fahrgäste den Reisekomfort. Zum Umsteigen muss zudem erst recht wieder der enge Gehsteig genutzt werden, denn das bisherige befahrbare Kap vor der Kreuzung wurde zu einer Fahrbahn (Abbiegespur) umgebaut, um Aufstellflächen für KFZ in verschiedene Richtungen zu schaffen.

→ Wie es besser wäre: Stattdessen hätte eine Abbiegerelation entfallen können oder abbiegende KFZ könnten die Hauptspur mitbenützen. Die Tram als pulkführendes Fahrzeug hat an Straßen wie diesen nur bedingt mit rückstauenden KFZ vor ihr zu kämpfen und wenn doch lässt sich durch die Unterbindung von Durchzugsverkehr - gerade in einer Straße wie der Thaliastraße, die viele Parallelstraßen und attraktive parallele ÖV- und Rad-Alternativen hat - nachhelfen. Der Erhalt einer jeden denkbaren Relation für den Autoverkehr hält diesen besonders attraktiv und verunmöglicht die sichtbar notwendige Platzschaffung für den Fußverkehr in einer Form, die ÖV-Fahrgäste nicht beeinträchtigt - nämlich eine Haltestelle mit vorgezogenem Gehsteig, aber weiterhin direkt vor der Kreuzung.

Straßenbahn direkt vor der Kreuzung in Haltestelle mit befahrbarem Kap Straßenbahn direkt vor der Kreuzung in Haltestelle mit befahrbarem Kap, Fahrgäste queren dieses um zuzusteigen Straßenbahn in Haltestelle mit Gehsteigvorziehung, jedoch von der Kreuzung wegverlegt
Bilder (teilweise Station Feßtgasse, teilweise Station Schuhmeierplatz):
Erste und zweite Abbildung: Befahrbares Haltestellenkap direkt vor der Kreuzung (2022; sowohl für Linie 9 als auch für Linie 46 inzwischen historisch);
Dritte Abbildung: Vorgezogener Gehsteig bei einem Haltestellenbereich der Linie 46, durch dessen Verlegung aber mit langen Umsteigewegen zu querenden Linien (seit 2022/2023)



Widerspruch zu Modal-Split-Zielen

Grafik aus Piktogrammen: Fußgänger, Straßenbahn, Fahrrad, Roller mittig mit ausreichend Platz, ein einzelnes Auto am Rand→‎ Wird strukturell Kannibalisierung im Umweltverbund betrieben, lässt sich im Durchschnitt eine Stagnation statt Verbesserung bei der Summe der Umweltverbund-Anteile am Modal Split erwarten. Dies wiederum verhindert das Erreichen von städtischen Modal-Split-Zielen, das Bremsen der Erderhitzung und das Senken anderer mit dem Autoverkehr einhergehender Umwelt- und Gesundheitsbelastungen. Schlimmstenfalls droht sogar ein Abwandern Richtung Autoverkehrsanteil. Wird dem Umweltverbund genug Raum gegeben, kommen seine Verkehrsträger gut miteinander aus und können ein gutes Mobilitätsangebot ermöglichen.



Der manchmal proklamierte Erhalt einer Wahlfreiheit der Verkehrsträger inklusive Privat-PKW verschweigt, dass das Auto, sofern es ohne größere Einschränkungen geduldet wird, Strukturen dominiert, sie oft negativ beeinflusst und die Entfaltung anderer Verkehrsträger einschränkt - eine echte Wahlfreiheit ist dies nicht. Zudem ist die Wahlfreiheit als Selbstzweck generell zu hinterfragen. Am Auto als Alltagsverkehrsmittel für alle Wege im dichten städtischen Raum für jede Gelegenheit aus Prinzip festzuhalten, anstatt nur für jene, wo es wirklich notwendig ist, wäre insbesondere aufgrund von Energie- und Platzaufwand ähnlich willkürlich, wie dies für Helikopter einzufordern - nur dass bei ersterem die Verbreitung derzeit so hoch ist, dass es für manche normal scheint. Letztlich geht es den meisten Menschen aber darum, Mobilität ermöglicht zu bekommen und mit dieser alle relevanten Bedürfnisse abdecken zu können. Aufgabe der öffentlichen Hand wäre es daher, jene in einer Form entfalten zu lassen sowie bereitzustellen, in der möglichst wenige externe Kosten anfallen und viel externer Nutzen herausschaut. Dies gelingt nur mit Verkehrsträgern des Umweltverbunds und erfordert ein Ansetzen auf unterschiedlichen Ebenen, von der Haltestellen- oder Kreuzungsgestaltung bis zu strukturellen Herausforderungen bei Raumplanung oder Baukultur. Die Baukultur eignet sich übrigens gleich auch als Vergleich: Wie bei dieser geht es bei Mobilitätsbereitstellung darum, eine lebenswerte Welt für möglichst viele Menschen und mit Verursachung möglichst wenig neuer Schäden zu ermöglichen. Sie zu ignorieren ist möglich, aber zur Erfüllung der gesellschaftlichen Bedürfnisse nicht zielführend. Wie abweisend oder offen ein Bau gegenüber dem öffentlichen Raum ist, wirkt sich auch auf die Gesundheit der Menschen sowie Verkehrsaufkommen und Verkehrsmittelwahl aus, genauso ist es beim Verkehrsraum. Wird strukturell ermöglicht, ohne Rücksicht auf das Gesamtsystem ein Gebäude zu planen oder das Privatauto zu forcieren, bringt das auch auf individueller Ebene oft weniger Nutzen, geschweige denn fürs Gemeinwohl. Einiges wird mit Bewusstseinsbildung, Zusammenreden und Vorbildwirkung möglich, insgesamt braucht es aber auch verbindliche Regelungen und konsequentes Handeln bei jedem Einzelprojekt.



Verweise

Anmerkung: Trotz eigenem Einfall des Begriffs Kannibalismus [bzw.] Kannibalisierung im Umweltverbund kamen vorher schon Andere auf den gleichen Gedanken: Eine kurze Internetsuche ergab rasch, dass der Begriff schon davor aufkam [6] - wodurch das unerfreuliche Phänomen leider zusätzlich Bestätigung erhält.


1: Ulrich Leth auf Twitter: „2019 vs 2022“ (2022) ↗ (abgerufen am 18.3.2023)
2: Johann Schneider auf Twitter: „In der Weyprechtgasse in Ottakring wird gerade das Radfahren gegen die Einbahn entfernt (...)“ (2023) ↗ (abgerufen am 18.3.2023)
3: Wiener Bezirkszeitung: „Entfernter Radweg hat Stauproblem nicht gelöst“ (2021) ↗ (abgerufen am 18.3.2023)
4: Stadt Wien: „Sima/Jankovic: Startschuss für die Verwandlung der Reinprechtsdorfer Straße zum Klimaboulevard“ (2023) ↗ (abgerufen 2023)
5: Neue Zürcher Zeitung: „«Der öffentliche Verkehr wird geopfert, und keiner nimmt es wahr»“ (2022) ↗ (abgerufen am 18.3.2023)
6: Begriff in dieser oder ähnlicher Form gefunden in Kommentar (2016) ↗ Kommentar (2019) ↗ Zeitschriftenaufsatz (2010) ↗ Synthesepapier (2021) ↗ Artikel (2023) ↗ (abgerufen am 26.7.2023; bei dem zweiten und dem vierten nur via Suchmaschinencache sichtbar gewesen)
7: STATISTIK AUSTRIA: Straßenverkehrsunfälle, Tabelle 38: „Unfälle, Verletzte und Getötete auf Eisenbahnkreuzungen (Kollision mit Eisenbahn) 2023 nach Bundesland bzw. Verkehrsart“ (2024) ↗ (abgerufen am 7.4.2025)
8: Guten Tag Österreich: „NÖVOG setzt auf Sicherheit bei Eisenbahnkreuzungen“ (2017) ↗ (abgerufen am 7.4.2025)
9: Bezirksvorstehung 22: „Protokoll über die Sitzung der Bezirksvertretung des 22. Bezirks. Datum / Uhrzeit: Mittwoch, 05. März 2025, 16.00 Uhr“ (2025) ↗ und MeinBezirk: „Erhitzte Gemüter um fehlende 22A-Station im Bezirksparlament“ (2025) ↗ (abgerufen jeweils am 18.4.2025)



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